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Schlafendes Eisentor

Auf eine verlassene Verladerampe am alten Bahnhof aus der Preußenzeit in Bous an der Saar

Ein schon seit Jahren verschlossenes Eisentor ruht am Rande zerfallender Industrielandschaften, umrankt von frischem Grün und zwei rundbogigen Fensteröffnungen. In der Abendsonne beginnen grüne Sommerranken langsam aber stetig dem Gebäude , der Tür und den mittlerweile ebenfalls fest verschlossenen Fensteröffnungen immer näher zu kommen. Der rötlich im Abendlicht schimmernde Rost des Schiebetors ist scheinbar in Schlaf verfallen, die Rundbogenfenster, längst ohne Sprossen und Glas. Sie sind nur noch blinde Augen eines einstmals geschäftigen Lagerhauses, das seine Funktion zum Verladen von sperrigem Frachtgut direkt an der alten Bahnstrecke von Saarbrücken nachTrier längst eingebüßt hat.
So wie sich die Natur allmählich dem dösenden und mittlerweile scheinbar nutzlos gewordenen Gebäude mehr und mehr nähert, scheinen sich Pflanzen, Eisentor und Gebäudemauer in der abendlichen Sommersonne recht wohl zu fühlen, sich zu räkeln fast und insgeheim Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, von den grünen Ranken immer mehr eingelullt zu werden. Gebäude und Lagerhaus stammen aus der Zeit, als Bahnbeamte noch preußische Uniformen trugen und die Wichtigkeit ihrer täglichen Aufgaben nicht von Kostenrechnung, Effizienz und Einsparung von Personal geprägt war, sondern von der Auffassung, dass die Aufgabe, Frachtgut zu bearbeiten und per Schiene zu verschicken eine Betätigung von besonderer Wichtigkeit war, die immerhin eine Familie ernähren konnte.
Kleine Brötchen konnte man von solch einem Lohn höchstens backen, zumal die kinderreichen Familien am Anfang des 20. Jahrhunderts erforderlich machten, dass man ähnlich wie die benachbarten Gruben- und Hüttenarbeiter und –beamten noch einen kleinen Garten, eine kleine Landwirtschaft unterhielt und in vielem Selbstversorger war, ein Trend der im 21. Jahrhundert wieder zurückzukommen scheint. Jedenfalls gab es Aufgaben, die wichtig waren und für die man einen Lohn bekam und die man ohne Zeitdruck und Datenbankunterstützung verrichtete. Der Eisenbahner wohnte ebenfalls in einem Haus in der Nähe der Geleise und die meist engen Zwischenräume zwischen Häuschen und Schienen wurden oft genug von kleinen Gärten umsäumt, die mit Blumen, duftenden Kräutern oder Gemüse bepflanzt waren, wofür zwischendurch oder nach Dienst ebenfalls noch Zeit genug war. Eine beschauliche Welt, die aber auch ihre Pflichten und Zwänge kannte.

Jetzt wird das im Abendlicht wie eine Katze schnurrende Tor allenfalls noch von Attacken aus Spraydosen gestört, die das Nichtstun und das Nichtspassieren beim alten Bahnhof nicht ertragen können und sich verzweifelt bemühen, mit dem in die Jahre gekommenen Tor ein Gespräch zu führen, mit Farbworten und -symbolen Bewegung in das ruhig-zerfallende zu bringen. Es mag sich über neuerliches Interesse freuen, möchte aber wohl lieber in Ruhe gelassen werden und sich mit dem frischen Grün der Ranken unterhalten.

 

Patrik H. Feltes

 

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©  Patrik H. Feltes