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Liebe ganz aufgeklärt…?

Der nachfolgende Text ist im Opus-Kulturmagazin erschienen

Ein Zustand als Begriff in der Wahrnehmung zweier Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts

Im Zeitalter der Aufklärung hat sich vieles gewandelt. Manches wurde neu definiert und erklärt oder überhaupt erst einmal angesprochen und einer genaueren Definition gewürdigt. Der nachfolgende Blick auf zwei enzyklopädische Lexika aus der Mitte des aufgehellten 18. Jahrhunderts verdeutlicht, wie der zeitgenössische Stand der Wahrnehmung zum Thema Liebe gewesen ist. Im Dictionnaire Raisonné des Sciences des Arts et des Métiers, das ab 1751 von Denis Diderot herausgegeben wurde, finden wir eine ganze Reihe von Artikeln, die den Begriff ‚amour‘ zum Gegenstand haben. Neben einem kurzen Artikel über die ‚muscles amoureux‘ (Bewegungen der Augenmuskulatur, die bewirken sollen, daß man Blicke auf sich zieht) raisonniert der Autor ganz im Stile seines zu jeder Zeit um Klarheit bemühten, auf dem hohen Niveau des gelehrten Plaudertons ausgeführten Beispiele und Erklärungen, daß die Liebe eine Form der Neigung darstellt, bei der die Sinne das Bindeglied darstellen. So weit so gut. Im nächsten Moment startet ein protogalanter Diskurs, der uns erklärt, daß mehrere Männer ein und dieselbe Frau lieben können, und zwar aus unterschiedlichen Beweggründen, wie z.B. wegen ihres Geistes, ihrer Tugend oder auch ihrer Fehler. Es gebe – so die Enzyklopädie – keine Liebe ohne Respekt. Und so wird neben den sinnlichen Qualitäten vor allem auf die Seele recourriert, als derjenigen, die uns am meisten anrührt. Gefolgt hiervon unmittelbar durch den Geist (esprit), als dessen Gegensatz die Sinnlichkeit ausgemacht wird, wird die reine Liebe auch von Freundschaft deutlich abgegrenzt.  Verliebt sein wird dem Liebhaber entgegengestellt, das eine fußt auf Schönheit, die das Herz berührt, der andere auf der Tatsache, daß die Erwartungshaltung existiert, daß er auch Liebe im Gegenzug erhält. Eine große Reihe von zusammengesetzten Begriffen zum Thema Liebe führt den Leser über die ‚Liebe der Welt‘ und der ‚Liebe des Ruhmes‘ schließlich auch zur ‚Amour des Sciences et des Lettres‘, womit die Gefühls- und Seelenwelten endlich in Richtung der Wissenschaften und der Künste aufbrechen. Ein ebenfalls aufgelisteter Katalog führt unter anderen Gattenliebe, Vaterliebe, Geschwisterliebe, wertschätzende Liebe bis hin zur Sympathie das ganze Feld der Liebesverwandtschaften aus, oftmals angereichert mit zeitgenössisch üblichen antiken Zitaten: Vaterlandsliebe wird beispielsweise mit Vincet amor patriae erhärtet.

Auch die Galanterie darf hier nicht fehlen und so wird sie in verschiedenen Unterarten als zur Liebe gehörig angeführt. Blättert man nun im deutschsprachigen Äquivalent der Enzyklopädie, und zwar in Johann Heinrich Zedlers „Vollständige(m) Universallexikon aller Wissenschaften und Künste“ (es wurde mit 64 Bänden im Jahre 1751 abgeschlossen), finden wir hier zahlreiche Äquivalente zur Enzyklopädie, aber auch eine völlig unterschiedliche Weise, Begrifflichkeit und Thema abzuhandeln. Sicher, die ‚muscles amoureux‘ sind ebenfalls vorhanden: „Liebäugeln heißet, wenn das Frauenzimmer einer Manns-Person, so die zu ihrem Liebhaber erkieset, allerhand verliebte Blicke und Minen mercken lässet“. Abgesehen davon sieht man jedoch gleich, daß hier der eher plaudernde Ton der Enzyklopädie einer Art Definitorik gewichen ist, die sich – wo sie nicht ohnehin mit fast exegetischen Erläuterungen auf eine Vielzahl von biblischen Stellen zum Thema ‚Liebe‘ Bezug nimmt – fast ausschließlich der christlich-theologischen Sichtweise zum Thema Liebe verpflichtet fühlt. Artikel wie  ‚Liebe zur Wahrheit‘, ‚Liebe zu Gott‘, ‚Liebe Jesu‘ gehören zu dieser Art der Aufarbeitung. Zwischen den christlich-religiös motivierten Auslassungen finden sich zwar immer wieder Sätze wie „Liebe ist diejenige Gemüths-Neigung, nach welcher man sich des geliebten Wohl als sein eigenes zu befördern angelegen sein lässet“, an denen man den grundsätzlich enzyklopädischen Geist zumindest erahnen kann. Und beim Artikel „närrische oder wütende“ Liebe wird auf Amor insanus verwiesen mit dem Zusatz „Ingleichen Geilheit (weibliche)“, was bereits wie eine juristische Aburteilung anmutet.  Dieser kurze Ausflug in zwei allgemeine Nachschlagewerke des aufgeklärten 18. Jahrhunderts ist Mentalitätsgeschichte und ein Stück Ideengeschichte zugleich, zeigt sich hier deutlich ein verschiedener Umgang mit dem Thema Liebe und ihrer Begrifflichkeit , die in einer lediglich vergleichbareren Gründlichkeit ihre unterschiedliche Schwerpunkte und Sichtweisen herausarbeitet. (Patrik H. Feltes)

 

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©  Patrik H. Feltes